Im kommenden März ist die letzte Landtagswahl bereits zwei Jahre her. Seitdem ist im Bundesland einiges passiert, die Corona-Pandemie, die Flutkatastrophe, der Ukraine-Krieg… das sind alles Themen, die unsere Gesellschaft beschäftigt.
Doch wie sieht es mit der direkten Demokratie aus, welche Ziele hat sich die Landesregierung gesetzt und was wurde bisher umgesetzt?
Nachdem die erste Ampelkoalition in Rheinland-Pfalz bereits von 2016-2021 regiert hat, wurde diese Koalition mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages im Mai 2021, zwei Monate nach der Wahl, bis voraussichtlich 2026 fortgesetzt. Dort sind neue und alte Ziele für direktdemokratische Themen festgeschrieben.
Dazu zählt das Wahlalter ab 16 Jahren für Landtags- und Kommunalwahlen. Zu diesem Thema haben wir bereits unsere Meinungen positioniert, zuletzt mit einer Pressemitteilung: https://rlp.mehr-demokratie.de/themen/wahlen/wahlalter-16.
Interessant wird es auch in dem Kapitel „Auch zwischen den Wahltagen: Demokratie zum Mitgestalten“. Dort werden unsere Kernthemen erwähnt. Der Satz aus dem Koalitionsvertrag: „Auf Landesebene streben wir an, die Zahl der nötigen Unterschriften für Volksbegehren zu senken sowie Abstimmungsquoren und Beteiligungsalter zu überprüfen“ (S.128). Dieser kleine Satz steckt voller interessanter Themen. Doch was genau bedeutet das für die rheinland-pfälzische direkte Demokratie?[1]
Nach der aktuellen Landesverfassung müssen über 300.000 Wahlberechtigte aus Rheinland-Pfalz ein initiierendes Volksbegehren unterstützen (Artikel 109, Abs. 3, S. 1). Diese Mindestzahl an Unterschriften finden wir viel zu hoch. Denn so ist es fast unmöglich, ein Volksbegehren durchzuführen. Wir fordern, diese Hürde auf realistische 100.000 Wahlberechtigte zu senken. Im selben Zug muss aber auch die Eintragungsfrist verlängert werden, denn diese beträgt aktuell zwei Monate, in denen man auch keine 100.000 Unterschriften sammeln kann. Realistisch sind dort sechs Monate, weshalb wir diese Frist als sinnvoller sehen.
Ähnlich sieht das beim fakultativen Volksbegehren aus. Aktuell muss ein Volksbegehren laut Landeswahlgesetz (§72, Abs. 3, S. 3) von mindestens 150.000 Wahlberechtigten unterstützt werden. Auch dies sehen wir als eine viel zu große Hürde, die das Instrument des Volksbegehrens de facto fast unmöglich macht. Wir fordern: Ein fakultatives Volksbegehren muss von 50.000 Wahlberechtigten unterschrieben werden. Die Eintragungsfrist soll außerdem von einem auf drei Monate verlängert werden, damit man ausreichend Zeit hat, auf die Beschlüsse des Landtages angemessen und ausführlich zu reagieren.
Interessant ist, dass bereits die 2011 gegründete Enquete-Kommission „Aktive Bürgerbeteiligung für eine starke Demokratie“ zu denselben Ergebnissen kam. In deren Zwischenbericht vom 1. Dezember 2014 empfiehlt die Kommission die Änderung des Artikels 109 der Verfassung für Rheinland-Pfalz (Volksbegehren) und des Landeswahlgesetztes (§61-§76). Den exakten Wortlaut zu der Empfehlung haben wir unter folgendem Link für Euch eingerichtet. Hier werden alle Empfehlungen der Enquete-Kommission zum Thema direkter Demokratie zusammengefasst angezeigt:
[1] Der Zukunftsvertrag – Rheinland-Pfalz 2021-2026: https://www.rlp.de/fileadmin/rlp-stk/pdf-Dateien/Staatskanzlei/rlp_Koalitionsvertrag2021-2026.pdf (Stand: 19.12.2022)
Ergebnisse „Aktive Bürgerbeteiligung für eine starke Demokratie“ des rheinland-pfälzischen Landtages
Volksbegehren
„Folgende Änderungen des Artikels 109 der Verfassung für Rheinland-Pfalz (Volksbegehren) und des Landeswahlgesetzes (§§ 61 bis 76) werden empfohlen:
Die Zahl der nötigen Unterschriften für ein Volksbegehren wird auf drei Prozent der Stimmberechtigten gesenkt. Dies entspräche derzeit der Anzahl von rund 100 000 wahlberechtigten Einwohnerinnen und Einwohnern (Artikel 109 Abs. 3 Satz 1 LV, § 72 Abs. 3 Satz 1 LWahlG).
Die Eintragungsfrist für die Sammlung der Unterschriften wird auf sechs Monate verlängert (Artikel 109 Abs. 3 Satz 1 LV, § 65 Abs. 3 Satz 1 LWahlG).
Ergänzend soll – unter Gewährleistung des Datenschutzes – die freie Sammlung von Unterschriften auch außerhalb von Gemeindeverwaltungen ermöglicht und die Sammlung in digitaler Form geprüft werden (§ 67 Abs. 1 und 2 LWahlG; § 70 Abs. 1 LWahlG).
Auch Volksbegehren über Finanzfragen werden grundsätzlich zugelassen. Ausgenommen von Volksbegehren soll nur der Landeshaushalt bleiben (Artikel 109 Abs. 3 Satz 3 LV, § 61 Abs. 2 Satz 1 LWahlG).
Die Mindestbeteiligung von 25 Prozent bei Volksentscheiden als Voraussetzung für deren Annahme wird abgeschafft (Artikel 109 Abs. 4 Satz 3 LV, § 81 Abs. 1 Satz 1 LWahlG). Geprüft werden soll ein möglichst niedriges Zustimmungsquorum. Das Zustimmungsquorum bei Volksentscheiden zu Verfassungsänderungen wird auf 25 Prozent gesenkt (Artikel 129 Abs. 1 Satz 1 LV, § 81 Abs. 1 Satz 2 LWahlG).
Analog zur Wahlkampfkostenerstattung soll ein Teil der entstandenen Kampagnenkosten der Initiatoren von zulässigen Volksbegehren abhängig von der Zahl der gültigen Unterschriften beziehungsweise Stimmen erstattet werden. Dafür sollen ähnliche Regelungen der Bundesländer Hamburg, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen herangezogen werden (§ 76 Abs. 1 LWahlG).
Zur Herstellung der Transparenz über die Hintergründe der Initiatoren von Volksbegehren sollen verpflichtende Regeln über die Offenlegung der Personen und Organisationen erstellt werden, die die Initiatoren organisatorisch und finanziell unterstützen.
Bei Volksentscheiden soll verpflichtend von der Servicestelle für Bürgerbeteiligung eine Informationsbroschüre als Orientierung für die Abstimmung erstellt werden, die jeweils neutral die Pro- und Kontra-Argumente des Abstimmungsgegenstandes auflistet. Diese Informationsbroschüre soll an alle Wahlberechtigten verschickt werden. Als Beispiel soll dafür die gängige Praxis in der Schweiz dienen.
Aus Kostengründen und um eine bessere Beteiligung zu erreichen, soll der Termin eines Volksentscheids verpflichtend an Wahlen, die in zeitlicher Nähe stattfinden, gekoppelt werden.
Desweiteren empfiehlt die Enquete-Kommission die Einführung der Popularklage zu prüfen. Mit der Einführung dieser Möglichkeit wird den Bürgerinnen und Bürgern die Gelegenheit gegeben, nicht nur individuelle Abwehrrechte vor Gericht geltend zu machen, also nicht nur für die eigene Person zu streiten, sondern auch gesetzliche Regelungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen.
Zur Vergrößerung der Transparenz bei der Behandlung von Petitionen, die für die Öffentlichkeit von besonderem Interesse sind, empfehlen wir, dass der Petitionsausschuss für die Behandlung von öffentliche Petitionen grundsätzlich öffentliche tagt. Dadurch wird auch das Petitionsrecht als niedrigschwelliges Beteiligungsrecht gestärkt. Eine öffentliche Beratung im Ausschuss ist grundsätzlich unbedenklich, da nach den bestehenden Verfahrensgrundsätzen bereits vor der Veröffentlichung geprüft wird, ob die Petition inhaltlich ein Anliegen von allgemeinem Interesse zum Gegenstand hat und das Anliegen und dessen Darstellung für eine sachliche öffentliche Diskussion geeignet sind. Wenn öffentliche Petitionen auf der Online-Plattform des/der Bürgerbeauftragten mehr als 1 000 Mitzeichnungen erreicht haben, sollen die Petenten zusätzlich auch Rederecht vor dem Petitionsausschuss erhalten, um ihr Anliegen in öffentlicher Sitzung vorstellen und begründen zu können.“