Serie: Direkte Demokratie in der Praxis – Bürgerinitiativen in Rheinland-Pfalz

Interview mit Frau Dr. Reis (Bürgerinitiative Pro Mosel): „Ohnmachtsgefühl der Bürger aufheben“

Selten wurde ein vorgesehenes Bauprojekt in Rheinland-Pfalz so kontinuierlich mit Protesten und kritischen Stimmen begleitet, wie der seit Ende der 1960er Jahren geplante Bau der Hochmoselbrücke.

Wir sprachen mit Frau Dr. Reis, zweite Vorsitzende der Bürgerinitiative Pro Mosel und der Hauptpetentin im Bundestag gegen den Hochmoselübergang, über die Stimmung vor Ort und ihr Bild von der direkten Demokratie in Rheinland-Pfalz.

 

Mehr Demokratie: Frau Dr. Reis, bitte stellen Sie sich doch kurz vor und erklären Sie uns Ihre politische Motivation, sich für die Ziele der Bürgerinitiative Pro Mosel einzusetzen.

Frau Dr. Reis: Meine aktive Zeit bei der Vereinigung Pro Mosel begann vor eineinhalb Jahren und ist für mich aufgrund der unseriösen Behauptungen, die den Bau der Hochmoselbrücke legitimieren sollen, unumgänglich. In meiner Funktion als zweite Vorsitzende der Bürgerinitiative Pro Mosel, versuche ich mit Hilfe von Bürgergesprächen und Flugblattaktionen die Menschen in der Region über dieses überflüssige Verkehrsprojekt, das auf veralteten, militärischen Motiven basiert, hinreichend aufzuklären. Durch unser Engagement versuchen wir, dem allgegenwärtigen Ohnmachtsgefühl der Bürger entgegen zu wirken, die meinen, das Bauprojekt ließe sich nicht mehr abwenden.

Ihre Initiative hat zahllose Fakten gesammelt, die belegen sollen, dass der Bau der Hochmoselbrücke keinen qualitativen Gewinn für die Region bringt. Können Sie kurz einige Punkte für die Leser anführen?

Beginnen möchte ich mit dem Verkehrsaufkommen von 25.000 Kraftfahrzeugen pro Tag, die ein Büro im Auftrag des Landes berechnet hat. Diese Zahl wurde vom Bund inzwischen auf höchstens 13.000 Fahrzeuge korrigiert, die diese Transportwege nutzen. Darüber hinaus sind sämtliche Gutachten, die eine verbesserte Erreichbarkeit für die Region rund um das Moseltal belegen sollen, nicht haltbar. Den Fahrzeitgewinn gibt es einfach nicht.

Den Bürgern wird erzählt, dass die Tourismusbranche von diesem Bauvorhaben profitieren würde, weil die Nachfrage nach Übernachtungen steigen würde. Entsprechende Zahlen wurden von einem Expertenbüro errechnet, das heute nicht mehr existent ist. Fehlplanungen in der Tourismusbranche kann sich die Region jedoch nicht leisten, schließlich hängt jeder vierte Arbeitsplatz an diesem Bereich. Die Beeinträchtigungen durch die Hochmoselbrücke und dessen Fortführung wird die betroffene Region für alle Tourismusbereiche uninteressant machen. Wir haben mit einer Geologin gesprochen, die Expertin für das Mittelmoseltal ist. Sie sieht die geologischen Verhältnisse vor Ort für solche schweren Brückenpfeiler aus Beton als nicht geeignet an.

Welche Möglichkeiten geben Sie, auch im Bezug auf den geplanten Bau der Hochmoselbrücke, direktdemokratischen Elementen wie Bürgerentscheiden und Volksabstimmung, besonders in Ihrem Bundesland Rheinland-Pfalz?

Dafür möchte ich kurz etwas ausholen. In Anlehnung an den Grundgesetzartikel 17 muss es möglich sein, eine betroffene Region über eine laufenden Petition offiziell zu informieren. Im Mitteilungsblatt meiner Verbandsgemeinde wurde eine Veröffentlichung verweigert. Entsprechend dem Informationsfreiheitsgesetz müssen außerdem in einer funktionierenden Demokratie Informationen, beispielsweise durch Einsichten in offizielle Akten, die ein Bauvorhaben wie die Hochmoselbrücke betreffen, allen interessierten Bürgern ohne besondere Hürden jederzeit möglich sein. Der Zugang ist aber nur unter erheblichen Erschwernissen möglich. Hier spreche ich von ungünstigen Zeiten oder Orte für Berufstätige die Behörden zu besuchen, um in die Unterlagen einsehen zu können, von Willkürentscheidungen der Sachbearbeiter, ob man kopieren darf oder nicht, und ich spreche davon, dass Unterlagen selten per Internet verschickt werden.

Durch dieses Informationsdefizit, das durch die mangelhafte Funktion der Medien in konkurrenzarmer Presselandschaft noch verstärkt wird, kann der einzelne Bürger sich keine fundierte Meinung zum geplanten Bau der Hochmoselbrücke bilden. Er bleibt ausschließlich auf das Pressebild angewiesen. Erst wenn er in unseren Gesprächen weitere Hintergründe erfahren hat, ist er entschlossen, gegen den Bau der Hochmoselbrücke zu stimmen. Wir können mit unseren Gesprächen und Flugblättern einfach nicht gegen eine regionale Presse ankommen, wenn sie nur einseitig oder tendenziös informiert.

Was bedeutet dies für die Landesebene?

Zunächst muss im Land gewährleistet werden, dass Informationen aller Seiten den Bürger in ausreichender Breite erreichen können. Sammelfristen für Volksbegehren müssen verlängert werden. Die Hürden für einen Bürgerentscheid müssen deutlich gesenkt werden, sonst ist dieses Instrument der Bürgerbeteiligung unwirksam. An dieser Stelle muss es auch eine signifikante Absenkung der Quoren und eine Verlängerung der Sammelfristen geben, damit Volksinitiativen und Volksabstimmungen als demokratisches Mittel eingesetzt werden können. Nur so besteht die Möglichkeit, überhaupt die notwendige Anzahl von Stimmen zu erreichen, damit eine Wahl oder Abstimmung Gültigkeit erlangt.

Darüber hinaus erschweren unzählige juristische Schritte die Einreichung eines Bürgerbegehrens. Häufig geht es nur um die Frage, ob ein Begehren juristisch gerechtfertigt ist. Der Sachverhalt tritt völlig in den Hintergrund. Eine zügige und gerechte Entscheidung im Sinne des Bürgers ist so nicht möglich. Für so ein Großprojekt wie die Hochmoselbrücke müssen die Bürger im ganzen Land nach der Sinnhaftigkeit gefragt werden.

Was sind Ihrer Ansicht nach noch weitere Möglichkeiten, die Bürger besser einzubinden?

Ja, sehen Sie, man könnte z.B. das Internet als zeitgemäßes Kommunikationsmittel nutzen. Wobei hier in Rheinland-Pfalz noch erheblicher Nachholbedarf besteht. Viele Regionen verfügen noch nicht über einen Breitbandanschluss. Ich halte es darüber hinaus für dringend erforderlich, im Land- und Bundestag Petitionsplattformen einzurichten, auf denen sich Bürgerinitiativen vorstellen können. Auf diesen Seiten könnten sich interessierte Bürger über Petitionen auf dem Laufenden halten, Argumente nachlesen und über diesen Weg qualitative Informationen beziehen. Ein Forum auf den Seiten des Bundestages zu diesem Thema wird bereits stark genutzt. Nicht nur daran lässt sich absehen, dass das Thema Volksabstimmung mit Interesse angenommen wird. Auch beim Schlichtungsprozess durch Heiner Geißler für das Bahnprojekt Stuttgart 21 wurden die Livedebatten mit hohen Einschaltquoten verfolgt.

 

Interview: Markus Schmidgen / Dominik Hübler

 

Link zur Initiative Pro-Mosel: www.pro-mosel.de

 

 

Neue Serie: Direkte Demokratie in der Praxis – Bürgerinitiativen in Rheinland-Pfalz

In unserer neuen Reihe befragen wir Aktive von Bürgerinitiativen in Rheinland-Pfalz zu ihren Erfahrungen mit den Instrumenten der Direkten Demokratie vor Ort.

Den Anfang macht Frau Dr. Elisabeth Reis von der Bürgerinitiative Pro-Mosel.